Yukon

Sommer 1995
 
Anreise: 26.08.1995 von Bozen (Zug) nach München, Flug München über Frankfurt nach Vancouver, Übernachtung
27.08.1995 Flug nach Whitehorse  
Heimreise: 16.09.1995 Flug von Prince Rupert nach Vancouver, 2 Übernachtungen in Vancouver
19.09.1995 Flug von Vancouver über Frankfurt nach München,  Heimfahrt mit Zug bis nach Bozen
20.09.1995 Ankunft frühmorgens in Bozen

Beschreibung
  • Allgemein
    Chilkoot Trail - Eine Reise in die Vergangenheit
    Kluane NP - Hiking the the Slims River West

    Allgemein
    Mein erste selbstorganisierte und durchgeführte Nordamerikareise. Der Yukon ist eines von drei kanadischen Territorien; die anderen beiden sind die Nordwestterritorien und der Nunavut. Alle drei bieten die unterschiedlichsten Naturwunder und eine unglaubliche Tierwelt, wobei der Yukon daneben auch noch historisch interessante Leckerbissen bietet. Hinzu kommt, dass der Yukon das Territorium ist, das logistisch am einfachsten zu erreichen und zu bereisen ist. Ich habe bei meiner Rundreise unter Benützung der spärlichen öffentlichen Verkehrsmittel neben der Wanderung im Kluane National Park auch den Weg der Goldsucher über den Chilkoot Pass und eine Tageswanderung in der Nähe von Haines Junction unternommen. Eine Weißkopfseeadlerbeobachtungstour auf dem Chilkat River war noch auf dem Programm, wenn auch der September noch nicht der optimale Zeitpunkt dafür ist sowie die Schifffahrt auf dem Alaska Marine Highway von Skagway bis Prince Rupert.
    Der Yukon ist jedenfalls eine Reise wert. Abschließend empfehle ich noch die Lektüre der Gedichte von Robert Service, dem Poeten des Yukon, der den Yukon um die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts beschreibt. Ein Gedicht mit einer überraschenden und humorvollen Pointe ist „The Cremation of Sam McGee“. Das klassische Gedicht über den Yukon ist „The Spell of the Yukon“.
       
    AUSRÜSTUNG
    Da ich schon alles hatte, habe ich vor der Reise nichts Neues angeschafft. In Whitehorse bin ich dann beim Bummeln in einen Outdoorstore gegangen und habe mir Gore-Tex-Jacken angesehen. Meine Patagoniajacke mit H2No-Beschichtung war ja eigentlich eine Schitourenjacke mit Schneefang usw. und daher etwas schwer; darüberhinaus war die damalige H2No-Beschichtung nicht so dampfdurchlässig und die Jacke hatte keine Unterarmzips. Im Store hatten sie eine Patagoniajacke, Gore-Tex-Dreilagig (die einzige Gore-Tex-Jacke die Patagonia damals gemacht hat und diese nur für kurze Zeit. Es dauerte dann viele Jahre, bis Patagonia wieder Produkte mit  Gore-Tex-Technologie im Programm hatte) und eine Marmot, ebenfalls Gore-Tex-Dreilagig. Unterschied war der Preis (Marmot deutlich günstiger) und dass bei Marmot die Taschen eingehängt und die Reißverschlussabdeckung mit Druckknöpfen gesichert war, während die Taschen bei Patagonia aufgenäht und die Abdeckung mit Klettverschlüssen geschlossen waren. Daher war die Marmot auch leichter. Dies und der Preis haben den Ausschlag gegeben. D ie eingehängten Taschen habe ich sofort rausgeschnitten, so konnte ich die Öffnungen als zusätzliche Belüftung nutzen und direkt auf die Taschen der eventuell darunter getragenen Fleecejacke zugreifen. Habe den Kauf und das Rausschneiden der Taschen nie bereut und die Jacke für viele Jahre verwendet. Erst mehr als 15 Jahre später habe ich mir wieder eine Gore-Tex-Dreilagenjacke angeschafft und interessanterweise wieder in Whitehorse.    

    REISE
    Ich hatte ja schon 1993 eine Reise selbst organisiert und absolviert, aber damals habe ich ein Land bereist, das ich 3 Jahre früher schon bereist hatte. Darüberhinaus konnte mir Nordwindreisen bei der Organisation sehr beistehen. Diesmal aber ging es nach Nordamerika (USA und Kanada) und 1995 gab es kaum Internet und email; es wurde also alles über normale Post und Telefon abgewickelt und die Informationen stammten aus Depliants, Reisebücher und Artikel aus Zeitschriften. Der erste Teil sollte die Wanderung über den Chilkoot Trail bilden, bevor es dann in den Kluane NP gehen sollte, um schlussendlich über den Alaska Marine Highway nach Prince Rupert und per Flug nach Vancouver zu kommen. Über den Chilkoot Trail schreibe ich weiter unten, ebenso wie über den Kluane NP. Zum Kluane NP ist zu sagen, dass ich eigentlich eine andere Wanderung geplant hatte, nämlich in 8 Tagen (inkl. eines Reservetages) bis zum Donjek River zu wandern, diesen zu überqueren, weiter zum  Duke River und am Cache Lake vorbei zurück zur Strasse zu gehen. Ziemlich happig, wenn man bedenkt, dass im besten Fall nur Wanderspuren vorhanden und an einem Tag 650 Hm aufwärts und 800 Hm abwärts zu überwinden gewesen wären (an anderen Tagen waren bis zu 700 Hm aufwärts und 900 Hm abwärts geplant). Im Visitor Centre hat mich nach dem Gespräch mit dem Ranger mein Mut verlassen und ich habe die leichtere Wanderung entlang des Slims Rivers mit Besteigung des Observation Mtn. gewählt. War wahrscheinlich die bessere Wahl für einen Anfänger. Die so gewonnenen Tage habe ich dann für eine Tageswanderung in der Nähe von Haines Junction und  die obgenannte Weißkopfseeadlerbeobachtungstour auf dem Chilkat River genützt. Ein Highlight war dann auch die Reise auf dem Alaska Marine Highway, wobei ich keine Kabine, sondern einen Deckplatz gebucht hatte. Für einen Anfänger war das doch eine recht anspruchsvolle Reise, bei der ich einiges gelernt habe für die späteren Mehrtageswanderungen und auch die Realität von Kanada und USA erstmals selbst erlebt habe.                  
    Anhand der folgenden Bildgalerie kann die Reise photographisch nachverfolgt werden.

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Literatur

Alaska – VISTA POINT Reiseführer Reisen Tag für Tag: Alaska · Yukon Territory · British Columbia, Wolfgang R. Weber, Verlag Vista Point; 11. Auflage 2019, ISBN: 978-3961414659

Kanada - National- und Provinzparks des Westens, Dieter Kreutzkamp, 1. Ausgabe 1992, Landbuch Verlag , ISBN 3-7842-0481-3
Die Ausgabe von 1999 gibt es gebraucht auf Amazon (Medimops). Dem Auyuittuq-NP werden 2 Seiten gewidment.

The Spell of the Yukon and Other Verses, Robert W. Service, ISBN 978-1076537539

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  • Chilkoot Trail - Eine Reise in die Vergangenheit
    (28.08. - 01.09.1995)
    It’s the great, big, broad land‚ way up yonder,
    It’s the forests where silence has lease,
    It’s the beauty that thrills me with wonder,
    It’s the stillness that fills me with peace.
    (Robert Service – The Spell of the Yukon – The Best of Robert Service, McGraw-Hill Ryerson)
    Meine erste Wanderung auf dem Chilkoot Trail; 15 Jahre später habe ich die zweite unternommen. Ich hatte mich im Vorfeld genau informiert und auch Fahrpläne von Autobus und Zug studiert. Den Ankunfsttag in Whitehorse habe ich für letzte Einkäufe und Kontrolle der Fahrpläne verwendet. Am nächsten Tag ging es um viertel nach acht mit dem Bus der WPYR (White Pass and Yukon Railroad) bis nach Fraser, um dort in den Zug umzusteigen. Der Grenzübertritt war in vor 9/11-Zeiten keinerlei Problem. Um 12 h war ich in Skagway. Meine ersten Schritte führten mich ins Visitor Center des Chilkoot Trails, auch hier für letzte Informationen. Damals war die Anzahl der Hiker auf dem Trail noch nicht beschränkt; es waren soviel unterwegs wie wollten. Dann wurde der Transport zum Trailhead in Dyea organisiert, der um 17 h stattfinden würde. Meinen Rucksack ließ ich im Büro des Taxidienstes und sah mir die Kleinstadt an. Eine typische Touristenstadt, die vom Besuch der Kreuzschiffe lebt. Dann ging es nach Dyea, einst eine lebendige Kleinstadt und wichtiger als Skagway, zumindest für ein paar Jahre; heute bleiben nur noch Reste der Hafenpiere. Drei Deutsche waren ebenfalls im Taxi und haben dann auf dem Zeltplatz in Dyea übernachtet so wie ich auch. Am nächsten Tag ging es den halben Kilometer bis zum offiziellen Trailhead und dann war ich auf dem Chilkoot Trail. Mein Gregory Rucksack war schwer; ich habe 2 1/2 Tage eingeplant, aber als Anfänger habe  ich für 6 Tage Essen im Rucksack, um eventuelles Schlechtwetter aussitzen zu können. Die Schwierigkeiten des Trails, vor allem des 2. Tages über den eigentlichen Pass wurden in der amerikanischen Literatur ziemlich betont und so wollte ich sicher gehen. Das mit dem Übertreiben der Schwierigkeiten hat in Amerika Tradition und ist der Streitlustigkeit der Amerikaner geschuldet; niemand will sich einem Schadensersatzstreitfall vor Gericht aussetzen, weil er vielleicht eine Schwierigkeit realistisch dargestellt hat und ein Hiker war dem dann nicht gewachsen. Und so wird man von einem Guideautor oder einem Ranger vor Ort nie eine realistische Einschätzung der Schwierigkeiten erhalten, sondern immer nur Hinweise, wie schwierig alles sei und alles unter eigener Verantwortung unternommen wird. Dasselbe gilt für Giardia; immer alles Wasser filtern, selbst wenn man dann die Nudel für 10 Minuten in dem Wasser kocht (selbst auf dieser Tour im Sheep Camp erlebt!). Der Trail führt in dauerndem Auf und Ab ohne nennenswertem Höhengewinn bis Finnegan's Point und weiter zur Abzweigung Canyon City. Auch so eine Ghosttown, die für 2 Jahre einen Boom erlebte und dann einging. Um die Reste des Dorfes selbst zu besichtigen, muss man den Talya River auf einer Hängebrücke überqueren. Die Deutschen und ich haben bei Finnegan's Point kurz gerastet und ich habe mir eine heiße Suppe gekocht. Nach ca. 21 km und 350 Hm erreiche ich Sheep Camp. In den kommenden Jahren wird Sheep Camp ca. 1,5 km weiter nach Norden verlegt und mit Holzplattformen für die Zelte ausgestattet. Auch der Steig bis Sheep Camp wird verbessert werden und nicht mehr so stark einem Hindernislauf  über Baumwurzeln gleichen. Ich stelle mein Zelt auf und kühle dann meine schmerzenden Knie im kalten Wasser des Talya Rivers, der hier mehr einem breiten Bach gleicht. Hier sehe ich auch das beschriebene Beispiel des Wasserfilterns. Abends gibt es dann den Pflichttermin mit dem Ranger. Alle sitzen im Kreis um den Ranger, der bekannt gibt, dass ein Schwarzbär gesichtet wurde, dass Essen bärensicher zu verstauen sei und, fast am wichtigsten, dass am nächsten Morgen sehr früh, aber jedenfalls vor halb acht zu starten sei. Bis zum nächsten Camp, Happy Camp, brauche man nämlich bis zu 10 Stunden. Für mich etwas unverständlich, da ich wegen ca. 850 Hm und 12 km höchstens mit 5-6 Stunden rechne. Am nächsten Tag habe ich dann verstanden, warum manche bis zu 10 Stunden brauchen. Da gibt es Hiker jeder Altersgruppe und mit Ausrüstungen, die teilweise aus den 70-Jahren zu stammen scheinen (z.B. verschlissene Außengestellrucksäcke); einige scheinen das letzte Mal in eben diesen Siebzigern unterwegs gewesen zu sein. Ich werde wahrscheinlich ein bißchen überheblich rüber kommen, aber wer den Trail wandert, wird mir recht geben. Die drei Deutschen und ich starten jedenfalls fast als Letzte und überholen bis zum Pass die meisten, die vor uns gestartet sind. Bis auf den letzten Anstieg (von dem auch die bekannte SW-Bilder des vorletzten Jahrhunderts stammen (siehe auch Bildgalerie) handelt es sich um einen gut begehbaren Weg; erst ab den Scales (der Punkt, wo die Ausrüstung aller Goldsucher gewogen wurde, da Kanada verlangte, dass jeder Goldsucher mindestens eine halbe metrische Tonne mit sich führt, um zu garantieren, dass die Goldsucher zumindest eine gewisse Zeit selbständig überleben konnten). Um dies halbe Tonne ranken sich allerlei Geschichten. Es gab Materialseilbahnen für den Transport oder indianische Träger für jene, die Geld besassen, während alle anderen den Weg bis nach Lindeman Lake bis zu 20 Mal absolvieren mussten, um die ganze Ausrüstung über den Pass zu bringen. Ab Lindeman Lake wurde im Frühjahr nach dem Eisaufbruch alles, Ausrüstung und Goldsucher, in selbstgemachten Booten den Yukon flußabwärts transportiert. Die Gegend um Lindeman Lake war komplett abgeholzt. Für uns moderne Wanderer gibt es in der Passhütte von den kanadischen Mounties einen heißen Tee, bevor es weiter geht. Der Weg ist wieder gut, wenn auch das Wetter jetzt nach der Wetterscheide, die der Pass bildet, schlechter wird. Die Gegend ist wirklich beeindruckend schön. Wir erreichen Happy Camp und rasten dort. Ein tierischer Bewohner kümmert sich um unsere Essensreste. Als die nächsten Wanderer eintreffen gehen wir weiter. Vier km weiter könnten wir beim Deep Lake zelten, beschließen aber die 9 km bis Lindeman Lake durchzugehen. Ich übernachte wieder im Zelt, während die Deutschen in der Hütte übernachten. Wir besuchen auch die Ausstellung in einem Zelt, die zeigt, wie es seinerzeit hier aussah. Auch ein Diplom kann man hier erhalten, das sozusaen nachweist, dass man den Trail gewandert ist. Am nächsten Morgen geht es weiter und gegen Mittag erreichen wir Bennett am gleichnamigen See. Im Bahnhofsrestaurant gibt es einen eigenen Raum und Menu für Chilkoot Hiker; ebenso sind 2 Wagone des Zugs für Hiker reserviert. Im Gegensatz zu späteren Jahren geht die Bahn von hier aus nur zurück nach Skagway. Kurz vor Skagway stopt der Zug und es wird die Diesellok gegen eine Dampflok getauscht, um stilgerecht in Skagway einzufahren. Und damit ist  meine erste Mehrtageswanderung in Nordamerika erfolgreich zu Ende gegangen.                                   .   
    Anhand der folgenden Bildgalerie kann die Wanderung photographisch nachverfolgt werden (Bei den Bildern handelt es sich um eingescante Dias; die Qualität ist also die, die sie ist. :-))

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Literatur

Nachstehend habe ich die Bücher angeführt, die ich entweder 1995 oder 2010 verwendet habe. Alle nur mehr antiquarisch erhältlich. Es gibt aber mehr als genug Literatur zum Thema; auf Amazon "Chilkoot Trail" eingeben.

Chilkoot Pass - The Most Famous Trail In The North, Rev. and expnded edition (December 12, 1980), Archie Satterfield,, Alaska Northwest Books, ISBN 978-0-88240-109-6

USA/Kanada: Chilkoot Trail. OutdoorHandbuch, 2. Auflage 2005, Dieter Reinmuth, Conrad Stein Verlag, ISBN 978-3-89392-360-1

Der Zauber des Klondike: Zu Fuß über den Chilkoot Pass und im Kanu auf dem Yukon - Ein Abenteuer in Kanadas Norden, Auflage: 1 (2003), Simone Pöschel, Books on Demand Gmbh, ISBN 978-3-83301-074-3

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  • Kluane NP - Hiking the the Slims River West
    (03.09. - 06.09.1995)
    There is a land where the mountains are nameless,
    And the rivers all run God knows where;
    There are lives that are erring and aimless,
    And deaths that just hang by a hair;
    There are hardships that nobody reckons;
    There are valleys unpeopled and still;
    There’s a land – oh, it beckons and beckons,
    And I want to go back – and I will.

    (Robert Service – The Spell of the Yukon – The Best of Robert Service, McGraw-Hill Ryerson)
    Eine Begegnung mit dem Bär
    Ich schnaufe schwer und der Schweiß rinnt in Strömen. Es ist ein wolkenloser Tag und es ist früh am Morgen noch so kalt, dass stehende Gewässer eine dünne Eisschicht tragen. Aber die Sonne brennt vom Himmel und der Steig führt steil bergauf. Die meiste Zeit ist mein Blick auf den Boden gerichtet, nur zwischendurch hebe ich den Kopf, um den Weiterweg auszumachen. Auf der gegenüberliegenden Talseite habe ich mehrere Dallschafe gesehen. Ich folge einem schwach ausgeprägten Steig, der steil vom primitiven Campground am Rande des Canada-Creek-Deltas auf den Gipfel des Observation Mountains führt. Zeit einen Moment stehen zu bleiben, um den weiteren Verlauf des Steiges zu checken. 
    „Da vor mir ein schwarzes Dallschaf.“
    „Nein, ein Grizzly.“
    „Oh, zwei Bären.“
    „Verdammt, eine Bärenmutter mit ihrem Jungem.“
    Mein Gedanken überschlagen sich. Während meine Brille, jetzt da ich stehe, vom warmen Atem in der kühlen Bergluft anläuft und mir die Sicht nimmt, fingere ich blind meine Spiegelreflexkamera aus der Tasche, die vor der Brust trage. Da ich momentan nichts sehe, drehe ich das Zoom auf Weitwinkel, um die Bären sicher auf dem Foto zu haben, und schieße das Bild. Ich packe den Fotoapparat reflexhaft wieder weg und beginne zu denken. Die Warnungen des Parkrangers kommen mir in den Sinn und ich gehe die Anweisungen in Gedanken durch, um zu entscheiden, was ich tun soll. Die beiden Bären sind ca. 20 m bis 30 m von mir entfernt und haben sich nicht bewegt. Mich nicht zu bewegen scheint die beste Option zu sein. Ich vermeide der Bärin direkt in die Augen zu schauen, da sie dies als Herausforderung auffassen könnte. Die Minuten dehnen sich zu Ewigkeiten. Meine Gedanken rasen, aber schlussendlich bleibe ich bei meiner Entscheidung, nichts zu tun. Dann endlich dreht sich die Bärenmutter um und beginnt sich zu entfernen. Doch der Nachwuchs scheint anderer Meinung zu sein und beginnt hörbar in meine Richtung zu schnüffeln. Jetzt rutscht mir das Herz in die Hose. Wenn der Junior sich für mich zu interessieren beginnt und sich mir nähert, wird es gefährlich. Ich glaube nicht, dass Mamma Bär mich dann weiterhin als ungefährlich und uninteressant ansehen wird. Aber dann besinnt sich der Junior eines Besseren, dreht ebenfalls um und folgt der Mutter. Mein Herz beginnt wieder ruhiger zu schlagen. Schnell sind die beiden Bären außer Sicht.
    Ich schnaufe nochmal tief durch. Jetzt habe ich auch die Muße den Fotoapparat wieder herauszuholen und das geschossene Bild auf dem Monitor anzusehen. Da bekomme ich dann nochmal einen Schock. Durch das starke Weitwinkel ist im Gegenlicht nur Mutter Bär zu sehen, aber sie steht eindeutig auf den Hinterbeinen. Ein Grizzly stellt sich auf die Hinterbeine, um eine bessere Übersicht über die Situation zu bekommen und eine eventuelle Gefahr einschätzen zu können. Ich hatte doppeltes Glück; einmal, dass ich im richtigen Moment den Kopf gehoben habe, um den Weiterweg zu checken und zweitens, dass ich dann stehen geblieben bin. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte ich noch ein paar Meter mehr gemacht. Aber alles ist noch einmal gut gegangen. Ich gehe vorsichtig weiter und mache einen großen Bogen um den Punkt, an dem die Bären verschwunden sind. Es braucht noch eine Weile bis der Adrenalinspiegel soweit gesunken ist, dass ich die großartige Umgebung wieder schätzen kann. Es ist zwar noch 1 Stunde bis zum Gipfel des Oberservation Mountains, aber die Gletscherlandschaft des Kluane National Park mit dem Hauptdarsteller Kaskawulsh Glacier kommt immer mehr ins Blickfeld.
    Am flachen Gipfel liegt er dann vor mir. Der Kaska-wulsh Glacier. Er umfasst von zwei Seiten den Kaskawulsh Mountain (2969 m) und fließt dann als einziger Strom Richtung Observation Mountain. Die Mitte des Gletschers ziert eine breite Geröllstrasse. Es handelt sich dabei um Gestein, das vom Kaskawulsh Mountain über Jahrhunderte hinweg abgebrochen ist und vom Gletscher weiter transportiert wird. Hinter dem Kaskawulsh Mountain sind die Gletscherberge der St. Elias Range zu sehen und dahinter grenzt der Kluane National Park an den Wrangell–St. Elias National Park and Preserve in Alaska. Die auf die USA und Kanada verteilten Parksysteme Kluane, Wrangell-St Elias, Glacier Bay und Tatshenshini-Alsek sind 1979 in das UNESCO Verzeichnis des Weltkulturerbes aufgenommen, noch bevor z.B. der Kluane NP in den Rang eines kanadischen Nationalparks erhoben wurde. Dies geschah erst 1993, da längere Verhandlungen mit dem indigenen Volk der Lù’àn Mun Ku Dän (″Kluane Lake Volk″), einem Mitglied des Südlichen Tutchonevolk vorausgegangen sind. Aus diesem Grund ist auch noch der größere westliche Teil „nur“ als Kluane National Reserve ausgewiesen, da für diesen Landteil die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind.
    Jedenfalls ein atemberaubender Ausblick. Meine Ruhe am Gipfel wird nur einmal durch einen Sightseeing-Hubschrauber gestört; die Störung dauert nicht lange, dann habe ich den Ausblick wieder für mich alleine.
    Nach der ausgedehnten Rast mache ich mich wieder an die fast 1300 Hm Abstieg bis zum Campground am Canada Creek.
    Beim Abstieg habe ich mehr Muße und kann meine Aufmerksamkeit verstärkt der eindrucksvollen Aussicht widmen, wenn auch ein Teil der Aufmerksamkeit immer der näheren Umgebung gewidmet ist, um eine weitere Bärenbegegnung zu vermeiden. Die eine Begegnung mit den Bären hat mir für heute gereicht. In Abstiegsrichtung rechts kommt das Ende des Kaskawulshgletschers ins Blickfeld. Am Gletscherkopf hat sich durch das Schmelzwasser eine große Schlammebene gebildet, die wie ein aufgewühltes Meer aussieht. Mehrere größere und kleinere Seen verteilen sich darin. Das Wasser der Seen blinkt milchblau in der Sonne. Das gesamte Tal des Slims River bis zum Kluane Lake am Horizont ist sichtbar. Ich lasse mir Zeit und komme langsam tiefer. Schon kann ich mein einsames roten Zelt ausmachen. Zwei Personen wandern auf der Ebene mit dem Campground herum. Ich hoffe nach der heutigen Begegnung mit den Bären auf ein bisschen menschliche Gesellschaft, aber bis ich unten bin, sind die beiden schon wieder weg. Wahrscheinlich haben sie weiter talauswärts gezeltet und sind dann in einem Tagesausflug bis zum Campground gewandert, um einen Blick auf den Kaskawulsh Glacier zu erhaschen. Der Wind hat jetzt am späteren Nachmittag aufgefrischt und auf der gegenüberliegenden Flussseite den Sand der Flussbänke aufgewirbelt. Sieht aus wie ein kleiner Sandsturm.
    Die Nacht im Zelt ist trotz der Bärenbegegnung mit tiefem Schlaf gesegnet. Die Bärenregeln habe ich alle eingehalten. Bärenkanister mit dem Vorrat und den Toilettensachen sowie die Tageskleidung, in der ich gekocht habe, sind 30 m vom Zelt entfernt in Windrichtung positioniert; gekocht habe ich ebenfalls 30 m entfernt. Die 3 Punkte (Kochplatz, Bärenkanister und Zelt) bilden ein gleichseitiges Dreieck mit einer Seitenlänge von je ca. 30 m, wobei das Zelt am weitesten abwindig liegt. Bei einem Gletscher ändert sich natürlich die Windrichtung vom Abend zum Morgen, aber darum mache ich mir jetzt keine Sorgen.
    Am Morgen wird nach dem Frühstück das Zelt abgebaut und ich mache mich auf den Rückweg. Das Wetter meint es gut mit mir. Der Himmel ist wolkenlos und die Sonne wärmt die kalte Luft auf. Der Weg schlängelt sich am westlichen Ufer des Slims River entlang, steigt manchmal höher, aber der Fluss bleibt immer im Blick. Er mäandert, teilt sich auf und wäscht die Steilufer aus, so dass die Bäume, die zu nahe am Ufer stehen, den Prallhang hinunterstürzen. Einige Sträucher sind schon rot und auch die Espen haben das Herbstkleid angelegt. Als der Weg sich wieder einmal dem Fluss nähert, sehe ich erst die Hufspuren eines Elches. Der Größe nach zu urteilen, eines eher jungen Exemplars. Ein paar Meter weiter die Spuren eines Wolfs. Der Kluane National Park ist nicht nur die Heimat des höchsten Berges (Mount Logan 5959 m)) und des größten Eisfeldes von Kanada sowie einer Grizzly-Population mit der größten genetischen Vielfalt in Nordamerika, sondern auch vieler anderer Wildtiere wie eben Wolf, Elch, Bergziegen und Dallschafe.
     Der Weg weist keine nennenswerten Steigungen auf, so dass man die Muße hat, die eindrucksvolle Gegend zu genießen und neben den großen Eindrücken auch den kleinen Schätzen ein bisschen Aufmerksamkeit zu widmen. Ich passiere die Stelle, an der ich beim Herweg meine erste Nacht im Bärenland verbracht habe. Es war eine eher unruhige Nacht; jedes Geräusch riss mich aus dem Schlaf und ließ mich darüber nachdenken, ob ich den Kopf aus dem Zelt oder lieber doch wieder in den Schlafsack stecken sollte. Aber die Nacht ging schließlich auch ohne jeglichen Vorfall vorbei.
    Ein abgestorbener Baumstumpf mit Missbildungen zeigt an, dass der Trailhead nicht mehr weit ist. Bald komme ich am Bärenwarnschild vorbei. Es hat nun eine andere Bedeutung für mich als vor drei Tagen. Am Thechàl Dhâl (Sheep Mountain) Visitor Centre melde ich die Bärenbegegnung.
    In Kanada setzen sich zumindest offiziell immer mehr die Namen der einheimischen Völker (First Nations) durch. So heißt auch der Slims River offiziell „Ä’äy Chù“. Auch auf den Strassen- und Hinweisschildern werden immer öfter auch die einheimischen Namen angegeben. In Burwash Landing, einem kleinen Dorf am Ufer des Kluane Lakes, kann übrigens mehr über die Kluane Lake People im Kluane Museum of History erfahren werden. Ein Besuch des Museums sollte nicht ausgelassen werden.


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Literatur

Fernweh. Wanderlust auf verborgenen Pfaden erkundet von Cam Honan, Die Gestalten Verlag; 2. Edition, ISBN: 978-3899555264 

Kanada - National- und Provinzparks des Westens, Dieter Kreutzkamp, 1. Ausgabe 1992, Landbuch Verlag , ISBN 3-7842-0481-3
Die Ausgabe von 1999 gibt es gebraucht auf Amazon (Medimops). Dem Kluane-NP werden 2 Seiten gewidment.

Kluane Park Hiking Guide - Routes and trails in Canada's north, Vivien Lougheed, 1. Ausgabe 1992, Repository Press , ISBN 0-920104-21-5
Es gibt eine 2. erweiterte Ausgabe von 1997 und eine 3. Ausgabe von 2007 von anderen Verlagen; alle nur mehr antiquarisch erhältlich. 

Kanada Yukon Territory: Die 20 schönsten Kanu- und Trekkingtouren (Outdoor Kompass), Nils Bohn, Verlag Kettler, Thomas; 2. aktualisierte Ausgabe 2016 , ISBN: 978-3934014565 

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Topo Map (1:50,000): Slim's River 115 B/15

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